Herbsteinspringer

by redhairedprince

… da stehe ich friedlich in der Wohnung und übe schweres Zeug …. ähh … ok ich war in der Küche und hab eine Würschtelpfanne gebraten,

 

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aber ich war friedlich zuhause, als das Telefon klingelt und die ZAV Berlin ist dran. Dies ist die Bühnenvermittlung der Agentur für Arbeit. Ja, man möchte es nicht glauben, aber es gibt eine staatliche Künstleragentur … und nicht nur eine, in allen grossen Deutschen Kulturstädten … man merkt nur recht selten was von ihnen … und ich hatte überhaupt noch nie das Vergnügen. Umso erstaunlicher, dass die Dame am anderen Ende des Telefon einen Job im Ausland vermitteln wollte. Normalerweise macht die ZAV keine Auslandsvermittlungen, aber das Opernhaus Ostrava (das ist in der Tschechischen Republik) hatte verzweifelt angerufen, da die einen Offizier im Cardillac suchen. Der Offizier ist eine sauschwere, relativ selten besetzte Rolle … deswegen dieser ungewöhnliche Weg. Näheres zum Cardillac gibt’s im Blogeintrag vom 24.04.2011. Ich zeige mich also einspringbereit und wenige Augenblicke später klingelt das Telefon und das Opernhaus ist selber d’ran. Die einzige Schwierigkeit in der ganzen Aktion besteht darin, dass der Einspringer am nächsten Tag sein soll (Donnerstag) ich aber am Freitag Abend eine Vorstellung Fliegender Holländer in Schwerin habe. Dann wollte ich noch nach Berlin, Unterricht nehmen und am Samstag Abend Don Carlos an der Deutschen Oper anschaun. Man erklärt sich also bereit, mich am Abend noch über Wien nach Ostrava zu fliegen und dann am Freitagmorgen um sechs mich mit dem Auto von Ostrava nach Schwerin zu fahren. Ich lasse mich auf die ganze Geschichte ein, hab gerade mal zwanzig Minuten zum packen (was eine echte logistische Herausforderung war, da ja die ganzen o.g. Einzelveranstaltungen miteingerechnet werden mussten), rase zum Flughafen und fliege reibungslos und pünktlich nach Wien.

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Hier wird umgestiegen in Propellermaschinen, die doch scheinbar schon ein paar Jahre auf dem Buckel haben. Ein Flug durch die pechschwarze Nacht, in absolut ohrenbetäubendem Lärm endet mit einer Landung in pechschwarzer Nacht auf einem riesigen, offensichtlich ehemaligen Militärflughafen.

Der Fahrer kommt ein bisschen zu spät, sein Auto verfügt nicht über Sicherheitsgurte und los geht’s auf eine Fahrt durch die pechschwarze Nacht – immerhin fast eine ganze Stunde lang. Angekommen wird in einem etwas überdimensionierten Hotel, von dem nicht ganz klar ist, ob das Jugendstil – oder Ostblockarchitektur ist. Man hat mir eine kuschelige Suite von 120qm reserviert, nicht gerade ideal für eine leichte Einsamkeitsattacke. Die ist aber schnell überkommen, denn die DVD von der Produktion liegt bereit und ich verbringe die späten Nachtstunden mit dem Studium dessen, was da inszeniert ist … scheint machbar …

Am nächten Morgen um zehn klingelt das Telefon und die freundliche Frau des künstlerischen Betriebsbüros ist wieder d’ran, um mir mitzuteilen, dass die Umbesetzungsprobe um zwei Uhr nachmittags ist und um vier noch eine Ensembleprobe. Im Haus empfängt mich dann ersteinmal das Kostüm … bis auf die Stiefel passt alles wunderbar und man setzt mir schonmal die Perrücke auf den Kopf, was mir einen Vorgeschmack auf meinen abendlichen Schweissverbrauch gibt.

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Umbesetzungsproben mit dem Intendanten, der auch der Regisseur des Stücks ist, gehen reibungslos, die Kollegen machen einen sehr netten Eindruck, auch wenn nur bedingt Verständigung herrscht. Musikalisch besteht auch soweit Zufriedenheit, dass die Ensembleprobe von vier auf fünf verlegt und auf ein Minimum beschränkt werden kann.
Vorstellungsbeginn ist hier schon um 18:30 und nach Maske und angezogenem Kostüm stellt sich die Nervösität ein, die sich aber in Grenzen hält.

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Der erste Auftritt geht ganz ordentlich, bis darauf, dass ein tiefer Luftholer dazu geführt hat, den Frontreissverschluss zu sprengen. Das war zwar für das Publikum nicht sehr ersichtlich, aber das Ding repariert zu bekommen hat sich in der kurzen Zeit bis zum nächsten Auftritt als echt schwierig herausgestellt. Kein Mensch auf meiner Bühnenseite hat ein Wort Deutsch oder Englisch gesprochen und ich konnte irgendwie auch erstmal niemanden klarmachen, was mein Problem war. Endlich nahmen sich meiner zwei Bühnentechniker an, die mit einer Zange dann das Problem lösen konnten.

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Der Rest des Abends war – wie diese Oper immer – sehr anstrengend, aber durchaus erfolgreich. Auch die Theaterleitung schien glücklich und man bezahlte mich nach der Vorstellung in bar, was auch mal ein schönes Gefühl war.

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In der ungemütlichen Hotelhalle Bier zu trinken war leider weniger attraktiv, weswegen ich dann doch schon relativ früh im Bett war und deswegen auch mehr als rechtzeitig wach für meine sechs Uhr Abfahrt. Los ging’s durch die vernebelte Schlesische Landschaft ersteinmal Richtung Polen … an Auschwitz vorbei – was einem durch den übertrieben wirkenden Radiojingle von Radio Auschwitz etwas makaber in’s Bewusstsein gedrückt wurde – und dann in Polen Richtung Norden, dann Westen.

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An der Polnisch – Deutschen Schengengrenze dann eine halbe Stunde Polizeikontrollenschickane, aber unerwartet früh bin ich dann um eins schon in Schwerin im Hotel.

Hier noch geruht, eine ordentliche Vorstellung Holländer gesungen und nach der Vorstellung noch nach Berlin gefahren. Am Samstag dann eine Stunde mit meiner Lehrererin und am Abend eine etwas entäuschende Vorstellung von Don Carlos an der Deutschen Oper gesehen. Am Sonntag dann noch ‘ne Stunde und lediglich das light weight des zweiten Aktes Tristan durchgesungen. Mit dem Flieger zurück nach München und ausruhen ……